Portrait:

Reinhard Widmann

Leiter des ökologischen Hofguts und Mitglied der Familiengemeinschaft im Gespräch mit Christian Hundt

Reinhard, „Klassenzimmer im Bauernhof“ steht bei dir am Hoftor. Bist du mehr Bauer oder Lehrer?
Das war damals eine Aktion im Kreis Limburg-Weilburg. Wir haben gesagt: „das ist ja, was wir machen“. Und dann haben wir da mitgemacht nach dem Motto „Gutes tun und drüber reden“. Lehrer bin ich besonders für die Lehrlinge, die wir jedes Jahr haben. Und dann auch für die Kinder, die hier her kommen und bei ihren Erlebnissen im Stall leuchtende Augen bekommen. Wenn eine Schulklasse da ist, kommt die erste Schülergruppe oft zögernd. Die zweite Gruppe hat dann schon was erzählt bekommen. Die dritte Gruppe kommt in den Stall und sagt gleich „dürfen wir melken?“. Schön ist, wenn die Kinder dann mit leuchtenden Augen weg gehen. Einfach ist das aber auch nicht, den Stalldienst zu erledigen und sich den Kindern ganz zuzuwenden. Da dauert der Stalldienst natürlich länger und da müssen dann auch die FSJ-ler erst mal für gewonnen werden. Wir haben deshalb auch im Winter einen ganz anderen Rhythmus, als im Frühling, wenn die Kinder wieder in den Stall kommen.

Wieviele Vierbeiner hast du zur Zeit in Obhut? Und was baut ihr auf den Ackerflächen an?
Bei uns im Stall stehen 40 Milchkühe und 15 Rinder. Heiko Henke, unser Hirte, ist zuständig für 115 Mutterschafe und 80-90 Lämmer. Und dann gibt‘s im Stall natürlich Mäuse, … und Katzen und Eulen. Unsere Äcker nutzen wir als Grünland, bauen auch Tritikale, Hafer, Luzerne, Ackerbohnen und Silomais als Viehfutter an. An die Mühle liefern wir Dinkel und Weizen.

Was sind die Alltagsmomente, die besondere Freude machen – oder ganz das Gegenteil?
Alltagsfreuden erlebe ich, wenn ich am Morgen in den Stall komme und sehe, dass ein neugeborenes Kalb bei seiner Mutter steht und trinkt und auch wenn eine wichtige Arbeit gerade vor einem Wetterumschwung fertig wird: die Silage eingebracht, die Heuernte abgeschlossen, die Einsaat im Boden ist und dann fällt der Regen drauf, das ist wie eine Belohnung. Oder der Blick auf einen Bestand, der schön da steht: ein Feld auf dem der Dinkel schön wächst. Aber das andere gibt‘s eben auch: Vor wenigen Tagen fand ich zwei tote Kälber auf der Weide, die fünf Wochen zu früh geboren worden waren. Manchmal kommen auch einfach einige Widrigkeiten zusammen: Krankmeldungen von Mitarbeitern und dann noch dazu eine plötzlich auftretende größere Reparatur …

Seit wann gibt es eigentlich die ökologische Landwirtschaft in der Jesus-Bruderschaft?
Seit 1993, also seit 24 Jahren. Die Motivation lag einmal in der Umstellung auf ökologische Landwirtschaft – Schöpfung bewahren – und in der Landschaftspflege. Anfangs wollten wir auch therapeutische Arbeitsplätze für Mitlebende schaffen. Das war aber so nicht möglich. Heute haben wir die FSJ-ler und das passt sehr gut zur Umweltbildung: Die FSJ-ler sind nah dran an den Kindern und sprechen ihre Sprache.

Hand aufs Herz: Bist du immer noch von der Bio-Landwirtschaft überzeugt?
Auch die Bio-Landwirtschaft hat lange immer nur auf Probleme mit mehr oder weniger passenden Problemlösungen reagiert. Während in der konventionellen Landwirtschaft dann Chemie zum Einsatz kommt, hat der Bio-Landbau andere Mittel. Zur Zeit erleben wir einen Aufbruch hin zur „ökologischen Landwirtschaft 2.0“. Da wird dann der Boden konsequent als Lebensraum in den Blick genommen. Der Boden lebt, wenn im Boden viele Bakterien und Pilze aktiv sind, die genug Nahrung bekommen. Das kann ich durch eine ausgewogene Bodenbewirtschaftung fördern. Aus dieser Perspektive wird z.B. der Ackerfuchsschwanz, ein gefürchtetes „Unkraut“ zu einem wichtigen Indikator für ein Ungleichgewicht im Boden. Gut für den Boden ist, wenn mehrere Pflanzenarten angebaut werden: Kreuzblütler, Leguminosen, Gräser. So wie für den Ackerbau kann man dann auch fragen: „Was bedeutet ökologische Landwirtschaft 2.0 für die Kühe im Kuhstall?“ Die ökologische Landwirtschaft so weiterzuentwickeln finde ich sehr spannend. Da bin ich gerne mit Leidenschaft dabei.

Wenn du einen Wunsch frei hättest wäre das … ?
dass der ideelle Wert honoriert wird. So einen offenen Stall und die Möglichkeit, Landwirtschaft zu erleben, gibt’s ja nicht mehr oft. – Und manchmal empfinde ich, das Seufzen der Kreatur (Röm 8) mit und der Wunsch ist da, dass einmal die ewigen zerstörerischen Zwänge in denen wir leben und arbeiten, ein Ende haben.

Wie könnte die Landwirtschaft in Gnadenthal in 10 Jahren aussehen?
Ich denke, die Landwirtschaft in Gnadenthal hat dann eine Zukunft, wenn es uns gelingt, die Verbindung von Landwirtschaft und Bildung weiter zu stärken.


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