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Br. Viktor Voss

Warum lebst du in Gnadenthal, wie bist du hergekommen und warum bist du „Bruder“ geworden? Diese Fragen werden mir regelmäßig gestellt, wenn ich mit Konfirmandengruppen zusammen bin. Die kurze Antwort lautet: Weil ich in Gnadenthal das Leben gefunden habe, das ich gesucht habe. Die längere Antwort ist: Weil mich die Liebe Gottes in Jesus ergriffen hat und auf den Weg seiner Liebe gelockt hat.
Wie war und ist dieser Weg?

Br. Victor Voss Der rote Faden meines Lebens war von Kindesbeinen an die Liebe und das Singen. Im Glück einer großen Kinderschar wuchsen wir in der Geborgenheit hingebender Elternliebe auf. Gesungen wurde viel, nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit, sondern auch bei Autofahrten und Familienfeiern.

Früh kam ich mit den älteren Geschwistern in den Kinderchor. In den besten Zeiten sang ich wöchentlich im Jugend-, Kammer, Schul- und Kirchenchor. Der letztere sang jeden Sonntag. Kein Wetter konnte mich daran hindern, zur Kirche zu fahren. Vor der Predigt schlichen wir uns allerdings aus dem Gottesdienst. Mit zwei Mädchen zusammen eine heiße Schokolade im Lieblingscafé zu trinken war viel schöner und interessanter als einer Predigt zuzuhören. Nur im Konfirmationsgottesdienst mussten wir auch nach der Predigt noch singen. Hier traf mich ein Wort ins Herz: „Die Liebe Gottes läuft euch nach (auch wenn ihr nach der Konfirmation nicht mehr zur Kirche kommt).“ Damals ahnte ich natürlich nicht, dass damit mein Lebensthema angeklungen war: Die suchende Liebe Gottes.

Durch meine Berufsausbildung kam ich von zu Hause fort und hatte damit auch keine Gelegenheit mehr, im Chor zu singen. Der Wunsch zum Singen blieb natürlich. So suchte ich mir eine Möglichkeit, Gesangsunterricht zu nehmen. Die neue Gesangslehrerin fragte mich bald, ob ich „religiös interessiert“ sei. Da traf sie bei mir auf ein offenes Herz und Ohr. Einerseits war mein Herz für den Glauben geöffnet durch das jährliche Singen der Matthäus-Passion von Bach. Schon als Kind und als Jugendlicher hatte mich diese Musik tief berührt. Dann hatte ich durch das Lebenszeugnis von Dietrich Bonhoeffer gespürt, dass im christlichen Glauben das Geheimnis einer inneren Kraft liegt. Nach der Liebe habe ich gesucht, aber gerade die Liebe zu Mädchen war immer auch eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen, besonders von meiner Seite aus.

Ich suchte nach einer Kraft, die mich verändert. So folgte ich gerne der Einladung zu einer Pfingstfreizeit für junge Erwachsene. Hier hörte ich das erste Mal, wie Menschen mit Jesus lebten. Auf meinen Wunsch und die Bitte hin: „Ich möchte beten lernen“, bekam ich die Empfehlung: „Bitte Gott, dass er dir deine Sünden zeigt, komm damit in die Beichte und übergib dein Leben Jesus!“

Auf diesem Weg des Gebetes habe ich die Liebe Gottes tiefgreifend erlebt. Ich brachte ihm mein Versagen, Gott schenkte mir dafür seine ganze Liebe. Im Paulus-Wort verstand ich später, was ich erfahren hatte: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Römer 5,5). Von Stund an lebte in mir eine tiefe Gewissheit, dass Jesus lebt und liebt. Diese Liebe sollten alle erfahren!

So wuchs in mir der Wunsch, ganz für Jesus zu leben und für ihn da zu sein. Hinzu kam, dass ich die Nähe seiner Liebe besonders spürte, wenn wir im Hauskreis mit Jesus in der Mitte über unser Leben und einen Abschnitt aus der Bibel austauschten und danach beteten. Da brannte mein Herz.

Als mich das Wort ergriff: „Verlass alles, was du hast, ich will dich zum Menschenfischer machen“, entschloss ich mich, meinen Beruf zu verlassen und fragte intensiv: „Jesus, wo ist dein Platz für mich?“

Sollten wir nicht beieinander bleiben, wenn wir so Jesus unter uns erleben? Die Lektüre von Bonhoeffers Buch „Gemeinsames Leben“ vertiefte diese Sehnsucht. Als mich dann noch das Wort ergriff: „Verlass alles, was du hast, ich will dich zum Menschenfischer machen“, entschloss ich mich, meinen Beruf zu verlassen und fragte intensiv: „Jesus, wo ist dein Platz für mich?“ In diesen Tagen meldete ich mich bei einer Bibelschule an. Unmittelbar vorher kam ich nach Gnadenthal – zum Helfen und um bruderschaftliches Leben kennenzulernen. Da erlebte ich das erste Mal eine Gemeinschaft, die so lebte, wie ich es gesucht hatte. Sie teilten alles miteinander, sie blieben beständig in der Lehre, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet (vgl. Apostelgeschichte 2,42).

Im Vertrauen darauf, dass Jesus mich in die Gemeinschaft ruft, entschied ich mich zu bleiben. Nach über 40 Jahren des gemeinsamen Lebens in Gnadenthal, gerade auch durch mancherlei Krisen geübt, kann ich sagen, dass Gott nicht nur einen Platz für mich gedacht hatte, sondern dass Er auch mich für diesen Platz bereitet hat. Das Singen konnte ich in Gnadenthal natürlich auch fortsetzen, und es prägt noch immer mein Leben.
Und die Gemeinschaft bleibt das große Übungsfeld der Liebe. Hier wird das Herz weit. Hier üben wir, aus der Vergebung zu leben: einander anzunehmen, wie Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.


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